Titelbild Interview 6

Heute stelle ich meine Fragen an die Philosophin Dietlinde Schmalfuß-Plicht und wie Corona die Arbeit in ihrer Philosophischen Praxis „MILAN“ Erfurt beeinflusst hat. 

Wie kann man sich die Arbeit in einer Philosophischen Praxis vorstellen?

Ich biete Beratung, Begleitung und Unterstützung an für Menschen, die an der Welt leiden, aber nicht krank sind, für alle, die Hilfe zur Selbsthilfe oder einfach einen Gesprächspartner an einem Wendepunkt in ihrem Leben brauchen. Diese Gespräche bieten die Möglichkeit, den Blick zu erweitern oder zu schärfen und gewohnte Denk- und Handlungsmuster zu überdenken.

Zudem beschäftige ich mich viel mit dem Tod, der Trauer und dem Sterben und biete auch hier Einzelgespräche an oder Trauerfeiern, für die ich gemeinsam mit den Betroffenen den passenden Rahmen finde und in Worte fasse, was ihnen wichtig ist, und sie so durch die Stunde des Abschieds geleite.

Doch auch freudige Lebensereignisse wie freie Trauungen, Festreden oder Rituale begleite ich.

Zudem biete ich verschiedene Veranstaltungen an, in denen die Philosophie, das philosophische Denken und das Philosophieren Erwachsenen und Kindern nahegebracht wird.

 

Wie hat Corona deinen Arbeitsalltag in der Philosophischen Praxis MILAN Erfurt* beeinflusst?

Ich kann leider momentan fast gar nicht arbeiten. Gruppenveranstaltungen sind generell nicht möglich aufgrund der Verordnungen. Auch Einzelgespräche finden fast nicht statt. Die Philosophische Praxis ist keine kassenärztlich verordnete Gesprächstherapie. Nur einige wenige telefonische Beratungsgespräche führe ich hin und wieder.

 

Hat Corona zu neuen philosophische Denkansätzen angestoßen?

Ja, beispielsweise rückt das Phänomen der „Unverfügbarkeit“ in den Fokus. Auch denken wir Kolleg*innen miteinander viel darüber nach, wie in der Gesellschaft damit umgegangen wird. Es stellen sich Fragen wie: In welchem Maße müssen wir Krankheit und Tod akzeptieren? Ist ein Virus ein Feind? Wie verändert sich unsere Sprache? Wie verschieben sich Nähe und Distanz?

 

Wie gehst du mit der Situation um?

Ich versuche, Wege zu finden, mit den Gästen meiner Praxis in Kontakt zu bleiben. Leider lassen sich nur sehr wenig Leute meiner Zielgruppe auf virtuelle Gesprächsrunden ein, das habe ich im vergangenen Jahr einige Male angeboten – mit sehr wenig Resonanz. Für das erste Quartal in diesem Jahr habe ich davon Abstand genommen, weil Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis stehen. Stattdessen nutze ich die Zeit, mich philosophisch weiterzubilden, indem ich viele Bücher lesen, die auf meiner Warteliste stehen und indem ich Hörbücher mit Philosophie-Vorlesungen höre. Um den Kontakt zu „meinen“ Leuten nicht zu verlieren, bekommen sie an den Tagen, an denen eigentlich eine Veranstaltung geplant war, einen kleinen philosophischen Text (ich nenne das „Philosophische Häppchen“) zugeschickt, mit dem Angebot, mit mir darüber in einen Austausch zu gehen. Einige wenige tun das in der Tat.

 

Haben sich die Themen in den Beratungen seit Corona verändert?

Die wenigen telefonischen Beratungen drehen sich nur zum Teil um die momentane Situation und deren Auswirkungen. Eine junge Frau hat große Angst, dass sie im Homeschooling das Abitur nicht bewältigen kann, weil ihr der Kontakt zu den Mitschüler*innen fehlt, die sie spielerisch unterstützen. Außerdem fliegen ihr gerade alle Pläne um die Ohren, denn den geplanten Auslandsaufenthalt in Australien wird sie nicht realisieren können, eine andere Idee hat sie gerade nicht, weil sie darauf fokussiert war. Sie hat Angst vor der „leeren“ Zukunft.
 

Du beschäftigst dich unter anderem mit Trauer und Sterben. Hast du eine Veränderung im Umgang mit diesen Themen in deinem Umfeld bemerkt, da es durch Corona doch allumfassender geworden ist?

Für Trauernde ist die Kontakteinschränkung eine emotionale Katastrophe. Nicht nur, dass die Zahl der Trauergäste anlässlich der Beerdigung massiv eingeschränkt ist, es fehlen die Berührungen, die ganz körperliche Nähe des In-den-Arm-genommen-Werdens, die Besuche von Familie und Freunden.

Eine Witwe, deren Mann Mitte Dezember verstarb, fühlt sich extrem alleingelassen. Die Telefonate, die sie führt, können das nicht ausgleichen. Hier sehe ich ein großes Problem in unserer Gesellschaft.

Einer meiner Gäste ist sehr traurig, dass er seine Mutter im Pflegeheim nur sehr eingeschränkt besuchen darf und macht sich Sorgen, dass diese dort vereinsamt und schlimmstenfalls ohne Begleitung sterben muss.

 

Philosophierst du weiter mit Kindern? Wenn ja: Haben sich die Themen verändert? Und wenn nein: Denkst du, die Themen werden sich „nach Corona“ verändern oder auch der Umgang der Kinder mit Themen?

Leider fallen momentan alle Veranstaltungen mit Kindern aus, was ich sehr bedauere, denke ich doch, dass sie einen enormen Bedarf haben, über alles, was sie in dieser Zeit erleben, reden zu wollen.

Wenn es wieder losgeht, werde ich die Kinder fragen, was ihnen besonders am Herzen liegt, worüber sie reden wollen. Erst danach werde ich die Veranstaltungen entsprechend vorbereiten. Ich halte nichts davon, den Kindern die Themen vorzugeben. Das ginge an meiner Intention vorbei.

 

Was würdest du Menschen raten, um gut #durchdenwinter zu kommen?

Stärken Sie Ihr Immunsystem durch gesunde Ernährung, gehen Sie an die frische Luft, wann immer Sie können und sind Sie freundlich zu den Mitmenschen, lächeln Sie, das erkennt Ihr Gegenüber trotz Maske. Es tut gut und es kommt in den meisten Fällen zu Ihnen zurück.

 

Vielen Dank für diese Einblicke!

 
 
* Mehr Informationen und Kontakt zur Philosophischen Praxis MILAN Erfurt finden Sie hier.

Das Leipziger Bündnis gegen Depression e.V. dankt …

… dem Verband der gesetzlichen Krankenkassen und dem Verband der Ersatzkassen im Freistaat Sachsen, sowie …