Titelbild Interview 2

Meine Physiotherapeutin Pauline arbeitet im engen Kontakt mit Menschen und teilt sich die Familienaufgaben mit ihrem zuhause arbeitenden Partner. Im dritten Interview unserer Reihe geht es um einen fast unveränderten Praxisalltag mit neuen Belastungen, sehr kleine Ich-Zeitfenster und Zelte im Wohnzimmer.

 

Wie erlebst du die Corona-Zeit im beruflichen Umfeld?

Es ist eine Herausforderung! Einerseits bin ich dankbar, in einem krisensicheren Beruf arbeiten zu dürfen und bis auf verschärfte Hygienemaßnahmen können meine Kolleginnen in der Praxis und ich eigentlich weitestgehend wie gewöhnlich weiterarbeiten. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, alles ist wie immer. Andererseits haben viele von uns Kita- und Schulkinder, die zu Hause betreut werden müssen. Das bringt uns und unsere Partner zeitweise an die Grenzen der Belastbarkeit. Hinzu kommt die zunehmende Anspannung der Patient*innen, die durch die Anstrengungen während der Pandemie verursacht ist. Diese fangen wir dann oft in all ihren Auswirkungen ab. Doch wir helfen uns gegenseitig und lachen viel. Den Humor nicht zu verlieren und mit den anderen im Austausch zu bleiben, das hilft.

 

Wie hast du im letzten Jahr für deine seelische Gesundheit gesorgt – trotz der Belastungen und Anpassungsleistungen, die du und deine Familie erlebt haben?

Durch die Kinderbetreuung und die Arbeit habe ich häufig das Gefühl, dass eigentlich keine oder nur sehr wenig Zeit bleibt, um sich um die psychische Gesundheit zu kümmern.

Zitat auf hellblauem Hintergrund Neuro-Feedback, Bedürfnisse ansprechen, konkrekte Aufgaben und Pausenzeiten planen … und das oft beschriebene Spazierengehen

Allerdings ist mir aufgefallen, dass es mir schon guttut, wenn ich schöne Momente mit meiner Familie gestalten und wahrnehmen kann. Wenn meine Kinder glücklich sind, dann ist das ein Glücksgefühl, das ich als Ausgleich zu den Belastungen erfahre.

Andererseits brauche ich natürlich auch Zeit und schöne Momente für mich. Dafür habe ich häufig nur sehr kleine Zeitfenster, aber auch die sind sehr, sehr wertvoll unter den momentanen und hoffentlich absehbaren Umständen – und auch die gilt es zu schätzen.

 

Als Physiotherapeutin bist du nicht nur im engen körperlichen Kontakt, sondern redest auch mit deinen Patient*innen. Welche Rolle können dabei auch psychische Erkrankungen spielen?

Das Zusammenspiel der Gesundheit von Körper und Seele hat meiner Meinung nach eine sehr wichtige Bedeutung: Das eine kann ohne das andere eigentlich nicht heilen. Das Gespräch während einer Therapie ist daher häufig für viele Menschen, die ich behandle, immens wichtig. Ich schenke ihnen auch immer gern ein offenes Ohr, und manchmal spielt das schon während der Anamnese eine Rolle. Im Fall einer psychischen Erkrankung ist es sehr hilfreich, wenn die Patient*innen zusätzlich zur physiotherapeutischen Behandlung – und im besten Fall parallel – eine psychologische Betreuung erfahren.

 

Konntest du die Auswirkungen der Pandemie auch bei deinen Patient*innen im wahrsten Sinne des Wortes spüren? Wie gehst du persönlich und ihr im Team damit um?

Körperliche Auswirkungen sind deutlich spürbar. Mir fällt auf, dass viele Symptome länger bestehen bleiben. Meiner Erfahrung nach hat jeder Mensch ein körperliches Ventil, das bei psychischer Belastung stark reagiert. Das kann bei einigen der Magenschmerz sein, bei anderen sind es die Schulter- und Nackenverspannungen oder Kopfschmerzen. Mein Team und ich sind dahingehend sehr aufmerksam, besonders bei Patient*innen mit psychischen Vorerkrankungen. Uns ist bewusst, dass das immer gilt, vor allem aber zu dieser Jahreszeit und in diesem Jahr ganz besonders.

Zitat auf hellblauem Hintergrund: „Viel aus den Zeiten, die ich durchgemacht habe und die nicht so schön waren, kann ich benutzen, um anderen Mut zu machen.“

Daher sind wir untereinander oft im Austausch und widmen Patient*innen mit Vorerkrankungen auch besondere Aufmerksamkeit: Aktives Zuhören ist dabei das Wichtigste. Wenn ich alarmiert bin, dann spreche ich die Person darauf an und frage in der Regel nach, beispielsweise ob sie jemanden zum Reden hat. Innerhalb meiner professionellen und privaten Grenzen kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das es zum Beispiel erlaubt, jemanden zu ermutigen, die Therapeutin von vor fünf Jahren nochmals aufzusuchen, wenn dies im Raum steht.

 

Welche Ideen hast du, um gut #durchdenwinter zu kommen?

Um dafür zu sorgen, dass uns hier nicht die Decke auf den Kopf fällt, versuchen mein Partner und ich immer wieder kleine Highlights zu schaffen. Das kann zum Beispiel ein Abendbrot im Freien sein, mit Stockbrot am kleinen Lagerfeuer im Garten oder im Hof. Kurze Ausflüge gehören auch dazu, denn wir sind gern im Wald oder am Hauptbahnhof zum Zügeschauen.

Zitat auf einem himmelblauen Hintergrund „Nährt eure Seele! … und auch den Körper!“

Andersherum passt auch mal das Zelt ins Wohnzimmer, mit dem die Kinder zwei Tage lang beschäftigt sind. Wenn wir drinnen sind, gibt es uns ein gutes Gefühl, frische Blumen auf dem Tisch zu haben.

Ich persönlich versuche, kleine Zeitfenster zu nutzen und laufe beispielsweise manchmal von der Arbeit nach Hause, das ist dann mein Spaziergang. Ein warmes Bad tut mir auch immer gut. Zudem mache ich seit Anfang Dezember ein Puzzle mit 1000 Teilen. Das dauert zwar sehr lange, da ich wenig Zeit dafür habe, aber es bereitet mir große Freude – und es lenkt mich ab. Zusätzlich ist es natürlich immer gut, in Bewegung zu bleiben – ob das jetzt der Online-Yoga-Kurs ist, Joggen oder eben der berühmte Spaziergang.

 

Vielen Dank für das Interview und deine Einblicke!

Das Leipziger Bündnis gegen Depression e.V. dankt …

… dem Verband der gesetzlichen Krankenkassen und dem Verband der Ersatzkassen im Freistaat Sachsen, sowie …